Tag „Elf“ in Friesland

Wir sind wieder zurück vom Segeln und es gibt einiges zu erzählen, vor allem aber Bilder von unserer Tour. Beim Frühstück heute Morgen fragte unsere Vermieterin schon nach unserer Erfahrung auf dem „Skutsje“, weil sie selbst noch nie auf einem gefahren ist. Doch noch konnten wir ihr nicht berichten, weil der Segeltörn gestern leider ausgefallen war. Deshalb gibt es für euch hier schon exklusiv die ersten und unmittelbarsten Eindrücke. Dabei sagt manches Bild mehr als tausend Worte.

Wir beginnen ganz gemütlich am Nachmittag. Den Anfang macht die Fahrt mit dem Auto zum Hafen von Terherne. Wir haben den Standort des Schiffes im Hafen per Mail geschickt bekommen und unsere Sorge es nicht finden zu können war unbegründet, denn der Hafen ist sehr klein. Am Anfang an der Mündung zum „Sneeker Meer“ liegt schon ein grünes „Skutsje“, so wie ich mir dies von der Größe und Art insgeheim gewünscht hatte. Da liegt es vor Anker in seiner ganzen Schönheit und Behäbigkeit – eben ein Frachtkahn mit der Möglichkeit zu segeln. Auf den Tagestouren mit dem Fahrrad haben wir diese Schiffe schon des Öfteren gesehen und es sah sehr gemütlich aus, wie sie so dahinfuhren, meist mit einer Familie an Bord und jede Menge Ausrüstung für einen längeren Urlaubstrip. Also alles, was meine Vorstellung von Reiseabenteuer fördert.

Nun haben wir uns aber erst einmal unseren Platz erkauft und sind nun sicher, dass wir auf diesem Schiff an Bord gehen werden und in den nächsten zwei Stunden eine neue Welt auf uns wartet.

Erst Mal miteinander anfreunden
Erst Mal miteinander anfreunden

Mit anderen Reiseiteressierten werden wir vom Kapitän Bram eingeladen an Bord zu kommen. Er erklärt uns, insgesamt 13 Bootsjungen und -mädchen, was wir tun dürfen, was nicht und was sonst noch wichtig ist zu wissen. Hier ein paar Zahlen: 20 m lang, 15 Tonnen schwer, 50 Tonnen Ladekapazität, ein Mast, zwei Segel (erweiterbar auf insgesamt Vier), ein Wohnraum, umgebauter Ladraum komfortabel für die Bettstätten von 5 Personen, Die Kinder bekommen eine Schwimmweste. Alle Erwachsenen lehnen dies aber, in der Überzeugung die Kälte des Wassers so lange ertragen zu können bis sie wieder herausgefischt werden, ab. Übrigens: beläuft sich die Zeit bis es im Wasser derzeit kritisch wird auf etwa eine halbe Stunde.

Dann kann es ja losgehen. Der Motor wird angeworfen und wir verlassen das Hafenbecken in Richtung Kanal und gelangen nach gemächlicher Fahrt zu einem künstlich angelegten Zubringer (ich nenne es mal so, weil es keine richtige Schleuse ist), durch den man direkt auf das „Sneeker Meer“ gelangt.

Jetzt sehen wir endlich mal eine Kanalbrücke aus einer anderen Perspektive
Jetzt sehen wir endlich mal eine Kanalbrücke aus einer anderen Perspektive

Langsam werden jetzt auch schon Vorbereitungen für das Hissen der Segel getroffen. Der ein oder andere an Bord wird mit eigespannt, aber theoretisch könnte das Schiff mit drei Personen minimum auf Kurs gebracht und gehalten werden. Nochmal werden all diejenigen, die nicht mithelfen, instruiert beim Segelsetzen die Köpfe unten zu halten. Wir liegen in der Mitte auf der Abdeckung des ursprünglichen Laderaumes und sehr dicht unter dem Quermast an dem das Hauptsegel aufgehängt ist. Der Quermast ist im wahrsten Sinne des Wortes zum Greifen nah.

Hier ist nicht viel Platz zwischen Nase und Mast
Hier ist nicht viel Platz zwischen Nase und Mast

Das Segel ist gesetzt, der Motor ist aus und einer der Passagiere hilft das Schwert Backbord ins Wasser zu lassen. Und dann, nach einem kurzen Moment und einem spürbaren Ruck, greift der Wind richtig ins Segel und ab geht die Lucy.

Exkurs: Stellt euch folgendes vor. Wir sprechen hier von einem Frachtkahn mit einem flachen Boden! Einzig auf beiden Seiten gibt es je ein Schwert, das hilft den fehlenden Kiel zu ersetzen und auch das Schiff manövrieren zu können, z. B. um eine scharfe Wende zu machen. Immer auf der Segelseite in Windrichtung wird das Schwert ins Wasser gelassen. Das funktioniert sehr effizient wie wir bald erleben dürfen. Im Bild sind von Deck bis zur Wasserlinie außen nur 50 cm Höhe.

Auf jeder Seite des Skutsje befindet sich eines dieser Schwerter, das den fehlenden Kiel ersetzt
Auf jeder Seite des Skutsje befindet sich eines dieser Schwerter, das den fehlenden Kiel ersetzt

Das Schiff nimmt sehr schnell Fahrt auf und ist wirklich unerwartet, unglaublich schnell. Das Segel ist hart am Wind und steil. Das Schiff neigt sich zur Seite und die Wasserlinie ragt an die Oberkante zum Deck bis Wasser über den Rand schwappt. Schnell macht sich das Gefühl breit: „Gleich kippen wir um“ und „Ich hoffe der weiß, was er tut“ und „Wie weit kann man das Schiff wohl neigen?“. Alles zusammengefasst nennt man mit einem Wort „PANIK!!“. Wir rutschen quasi mit den Füßen auf die vormals senkrechte Holzbordwand und der Rücken liegt nicht mehr fest auf der Ladeluke. Alle auf unserer Seite sind darüber ziemlich beunruhigt. Wäre die Entscheidung für eine Schwimmweste doch besser gewesen? Ich spare mir mal die Antwort.

Wir haben nicht genug Kraft um das Schiff in die andere Richtung zu drücken
Wir haben nicht genug Kraft um das Schiff in die andere Richtung zu drücken

Vielleicht doch noch kurz vor dem Kentern ein Selfy für die „Daheimgebliebenen“?

Gute Mine zu verzweifelter Situation?
Ein letztes Selfy?

oder doch lieber ein Stoßgebet zum Himmel?

Ein Stoßgebet zum Himmel?
Der Schein trügt

Mittlerweile ist das zweite Segel oben und damit wurde noch eine Schippe an Geschwindigkeit draufgelegt. Kaptän Bram ruft in die Runde, ob jemand auch mal das Steuer übernehmen möchte?

Das ist die Gelegenheit für mich, dann habe ich die Kontrolle über Wohl und Wehe und vielleicht ist die Perspektive als Steuermann ja besser. Das gilt es zu erkunden und außerdem wollte ich ja wissen wie sich das Steuern eines solchen Schiffes anfühlt und wie schwer das zu bewerkstelligen ist. Ich balanciere auf dem schmalen Grat zwischen Ladefläche und Wasserlinie nach Achtern zur Pinne und zum Kapitän. Der gibt mir Instruktionen zum hochholen und runterlassen des Schwertes, weil eine Wende gemacht werden muß. Also, das Schiff in die Richtung Backbord gelenkt, dem Hauptsegel Raum geben, dass der Quermast in Steuerbordrichtung schwingt und dann das Steuerbordschwert runterrauschen lassen, dass die Geschwindigkeit nicht weniger wird. Danach wird das Backbordschwert mit einem Seil über einen Flaschenzug wieder eingeholt. Danach überlässt mir der Kapitän die Pinne und sagt mir nur grob die Richtung. Bei voller Fahrt braucht es enorme Kraft die Richtung zu halten. Das Wasser zerrt am Steuer und am Mann. Weil es kein Steuerrad gibt, bekommt man die Kraft direkt zu spüren. Wenn man von der „Kontrolle der Elemente“ spricht, dann kommt das Steuern dieses Schiffes dem für mich am Nächsten. Das macht wirklich riesigen Spaß und flößt mir gleichzeitig gewaltigen Respekt ein. Automatisch wird man hier sehr vorsichtig mit dem Schiff und dessen Besatzung .

Schönes Gefühl, aber auch sehr anstrengend
Schönes Gefühl, aber auch sehr anstrengend

Mittlerweile ist ein Teil der Segel gerafft und das Hauptsegel weiter ausgestellt, sodass ruhigeres Segeln möglich ist und jeder die Fahrt noch besser genießen kann. Der Kapitän hat auch Zeit auf meine vielen Fragen zu antworten. Ein gutes und fahrtüchtiges Schiff kostet so etwa 55.000 €. Es werden keine neuen „Skutsjes“ mehr hergestellt, aber man kann immer noch gute Gebrauchte finden. Man muss für ein solches Schiff etwas Zeit inverstieren, um es in Stand zu halten und lange Freude daran zu haben. So etwa 240 bis 300 Stunden im Jahr. Je mehr man selbst macht desto kostengünstiger. Dann kann man damit auch raus aufs Wattenmeer oder an der Küste von Frankreich und Spanien entlang schippern. Das ist durchaus machbar und mit Freunden umso schöner. Hier auf den Seenplatten kann man aber schon sehr gut fahren und auch lange und weit. Interessant ist Segeln hier vor allem auch, weil man in den Niederlanden keine Lizenz zum Führen eines Segelschiffes beraucht, wie in Deutschland. Auch ein Skutsje dieser Größe ist kein Problem, wenn man ein bisschen Händchen und Gefühl für die Materie hat …

Lust habe ich auf jeden Fall und angefixt bin ich jetzt erst Recht.

Ruhige Fahrt und leicht geraffte Segel
Ruhige Fahrt

Wir fahren durch eine schmale Durchfahrt und es ist nicht ganz einfach richtig zu sehen wo man fährt, weil die Segel die Sicht nehmen bzw. die Lücken sehr schmal sind durch die man vor das Schiff sehen kann. Ist eben alles flacher als bei einem normalen Segelschiff. Immer schön an der einen oder anderen Boje orientieren. Wenn man gut vorbereitet ist, schafft man zu einer Boje einen Abstand von 1 m bis zu 10 cm um daran vorbei zu fahren. Das fordert mich ehrlich gesagt etwas heraus und ich schaffe knapp 1 m.  Eine lange Kurve bringt uns wieder an die befestigte Kanaldurchfahrt bei der wir gestartet waren. Wir müssen eine Wende machen (diesmal allerdings mit Motorbetrieb). Dafür muss das Schiff in den Wind gedreht werden, damit die Segel leichter runtergelassen werden können. Anschließend heißt es den richtigen Moment abpassen um uns zwischen einem Kontainerschiff von Backbord und einem Motorboot von Steuerbord für die Weiterfahrt einzureihen.

Die Segel werden eingeholt
Die Segel werden eingeholt

Die Kanäle werden schmaler und die Schwierigkeit größer das Schiff locker auf Kurs zu halten. Ich denke mit etwas mehr Erfahrung gelingt das aber leichter. Noch den Brückenwart kontaktiert und eine Durchfahrt angefordert. Die Brücke hebt sich und mit etwas mehr Geschwindigkeit kommen wir gut durch. Es ist aber dennoch ein sehr beengendes Gefühl. Die Abstände sind gefühlt sehr gering.

Für die Hafeneinfahrt und das Anlegen überlasse ich das Steuer aber wieder dem Kapitän. Das ist mir dann doch zu heikel.

Resumée: Wieder an Land und etwas wackelig auf den Beinen waren Sandra und ich sehr begeistert von dem Segeltörn. Das Wetter hat unerwartet doch mitgespielt und wir konnten die kurze Zeit von zwei Stunden Fahrt  gut genießen. Mein letzter Gedanke vor der Heimfahrt „im Zuhause“ ist: „Es muss eine  Fortsetzung geben“.